Ich bin in einem kleinen beschaulichen Dorf, mittlerweile ist es zu einer Kleinstadt herangewachsen, im Herzen Brandenburgs aufgewachsen. Unzählige Gewässer liegen in unmittelbarer Nähe zum Elternhaus und doch lässt man sie Jahr für Jahr links liegen und auch in den Gesprächen mit anderen Anglern behandelt man sie eher stiefmütterlich. Warum das so ist? Ich kann es nicht beantworten, lieber fahre ich vier mal die Woche kreuz und quer hunderte von Kilometern durch dieses schöne Bundesland, um meine Futterplätze weit weit draußen zu befüttern. Jottwede würde der Berliner jetzt sagen: Ganz weit draußen! Die Jahre vergingen, ich zog nach Berlin und beangelte nunmehr die urbanen Gewässer inmitten von Betonwüsten, Partymeilen und dem Lärm der Großstadt.
Auf zu neuen Ufern in der alten Heimat
Der Anstoß eines guten Freundes brachte dann den seit jeher außer Acht gelassenen See wieder auf meine Bildschirmfläche. Dennis war ein guter Angler und Freund, wohnte nur wenige Autominuten von dem angesprochenen Gewässer weg und war Feuer und Flamme, seinen ersten Urlaub des Jahres mit mir – natürlich am Wasser – zu verbringen. Als Gewässer kam für ihn nur ein See in Frage und dreimal darfst du raten von welchem die Rede ist: Genau, meine Stiefmutter unter den Gewässern der Heimat schlechthin. Aber es war nicht von der Hand zu weisen, da Dennis zum einen von dem guten Karpfen-Bestand wusste und zum anderen schnell bei seiner Frau und dem kleinen Sohn sein konnte, insofern seine Hilfe im Familienhaushalt benötigt werden würde. Unverhofft kommt ja bekanntlich oft und so sollte es wohl auch diesmal sein…
Nach ausgiebiger Location, zwei guten Futteraktionen und mehreren Kontrollfahrten, ob denn der Platz nicht doch von anderen Anglern über das Wochenende besetzt wäre rückten wir an einem Sonntag Mittag im Oktober 2022 an, beluden unsere Schlauchboote als auch den Trolley und machten uns auf den Weg zu unserem Lagerplatz für die nächsten fünf Tage. Schnell war das Camp errichtet und die Ruten wurden scharf gemacht. Der See ist eigentlich überhaupt nicht wie ein typischer See aufgebaut, er gleicht mehr einer massiven Kanalverbreiterung und wird intensiv von der Berufsschifffahrt als auch Hobbykapitänen genutzt. Im Sommer war es durch die, in den einzelnen Buchten, ankernden Schiffe zeitweise unmöglich auch nur annähernd effektiv zu angeln. Wir hatten uns für einen Platz entschieden, an dem diese Verbreiterung langsam wieder in die ursprüngliche Kanalstruktur überging und somit die abfallende Kante zur Fahrrinne direkt vor uns lag – perfekt! Wir verteilten unsere Ruten entlang dieser Kante, dabei begannen wir am obersten Punkt und arbeiteten uns sukzessive nach unten vor, bis schlussendlich die letzte der vier eingesetzen Montagen direkt in der Fahrrinne lag.
Nach der ersten Nacht machte sich ein wenig Ernüchterung breit, so hatten wir doch die Stelle extrem gut vorbereitet, aber nicht einen Biss bekommen. Saßen wir wohlmöglich doch im falschen Bereich? Mein altbekanntes Gefühl gegenüber diesem See kam wieder so langsam auf, wurde aber direkt im ersten starken Kaffee des Tages ertränkt. Eine Nacht ist keine Nacht, also dran bleiben und dem Ganzen etwas mehr Vertrauen schenken war die Devise. Im Laufe des Tages erwarteten wir noch Besuch von einem weiteren guten Freund und Angler, namentlich Marius, und freuten uns auf eine gute Zeit am Wasser. Auch das Wetter spielte mit und so genossen wir die herbstliche Stimmung in vollen Zügen. Ein Anruf am Nachmittag sollte allerdings alles ändern: Dennis Frau rief an und teilte uns mit, dass sie mit hohem Fieber und mehreren Krankheitssymptomen zu kämpfen hätte und somit eine vollumfängliche Betreuung des Nachwuchs ausgeschlossen war. Zähneknirschend legte Dennis auf, packte ein zwei Dinge zusammen und stieg langsam in die Wathose, um seine Ruten einholen zu gehen. Just in diesem Moment stand Marius direkt vor uns, voller Vorfreude auf einen guten Abend und noch nichts ahnend was die Nacht für ihn bereithalten sollte. Lange Rede kurzer Sinn, Dennis konnte nach der Absprache mit Marius seine Ruten liegen lassen und beide befanden sich in einer Art Win-Win-Situation: Dennis Ruten lagen weiterhin auf der präparierten Stelle und Marius konnte unverhofft mitfischen, ohne sein eigenes Tackle vorbereiten zu müssen. Nach einer kurzen personellen Umstrukturierung ging der Angeltag wieder in den gemütlichen Teil über, wir aßen und tranken gut und hofften natürlich insgeheim auf den ersten Biss.
Eine Nacht kann alles ändern
Mitten im Verlauf der zweiten Nacht rüttelte mich auf einmal jemand wach. Ich war noch ganz schlaftrunken und sah, wie Marius versuchte mir mit Händen und Füßen zu erklären, was denn gerade passiert sei. Ich raffte mich auf, stieg in meine Wathose und ging hinunter zum Ufer, die Augen waren dabei immer noch leicht geschlossen. Als ich langsam in das Wasser hinein watete erkannte ich einen massiven Fisch im, am Schlauchbootrand befestigten, Keschernetz. Schlagartig waren meine Augen weit aufgerissen, als ob mir jemand soeben ein starkes Aufputschmittel verabreicht hätte. Krass – ein Spiegelkarpfen wie aus dem Bilderbuch stand dort im Kescher und ich blickte immer wieder abwechselnd zu Marius und dann wieder in das Netz. Ich freute mich wahnsinnig über den ersten Fisch des Urlaubes, beglückwünschte Marius und war innerlich auch etwas zwiegespalten, so hätte es doch eigentlich Dennis sein Fang sein sollen. Wir parkten den Fisch in der Floating Weight Sling zwischen und warteten auf das herannahende Tageslicht. Sobald die Sonne über den Horizont geklettert war schossen wir einige Fotos und wogen den wunderschönen Spiegler. Jetzt kam das Sahnehäubchen der ganzen Aktion zum Vorschein – 17 Kilogramm zeigte die Waage an – Marius hatte mit Dennis Ruten unverhoffter Dinge in einer spontanen Besuchs-Angel-Nacht seinen neuen Personal Best gefangen. Ich wusste nicht was ich sagen sollte und als ich Dennis daraufhin eine kurze Nachricht zukommen ließ, konnte ich es förmlich spüren, wie er am heimischen Küchentisch die volle Kaffeetasse gegen die Wand schleuderte…
Unverhofft kommt oft – ein Ausblick auf Teil 2
Ohne jetzt schon zu viel zu verraten – das Sprichwort „Unverhofft kommt oft!“ beschreibt die Urlaubs-Session von Philipp und Dennis nur allzu gut. Welche Überraschungen allerdings noch auf die beiden warten, ob Dennis überhaupt zum See zurückkehren kann und wie sie versuchen, näher an die Fische zu gelangen erfährst du im zeitnah erscheinenden zweiten Teil.
Eines kann ich allerdings jetzt schon sagen: Behandelt eure Gewässer nicht so stiefmütterlich – sie beherbergen wohlmöglich die eine oder andere Überraschung!
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