Starke Regenfälle halten seit Wochen ganz Deutschland und vor allem den Südwesten der Bundesrepublik in Atem. Gebäude, Autobahnen und Zugstrecken werden überschwemmt, unterspült und sogar vollständig durch die Wassermassen davon getragen. Ganze Existenzen wurden mittlerweile zerstört und vielerorts sind die Menschen froh, gerade so mit dem Leben noch einmal davon gekommen zu sein. Aber nicht nur wir spüren die Auswirkungen dieser massiven Regen-Ergüsse am eigenen Leib, sondern auch die Tier- und Pflanzenwelt um uns herum. Insbesondere in solchen Gegenden, in denen Vereinsgewässer und Baggerseen entweder direkt mit einem Fluss verbunden sind oder in der unmittelbaren Nähe liegen, hat das Hochwasser zu verheerenden Situationen geführt. Aber auch die großen Flüsse und ihre angrenzenden malerischen Landschaften selbst sind den Wassermassen schutzlos ausgeliefert.
Der Neckar und die Karpfen
Eine sehr bekannte Region ist die untere und mittlere Strecke des Neckars, mit dem in ihrem Zentrum liegenden Atomkraftwerk Obrigheim. Diese Strecken wurden in die Bereiche 1, 2 und 3 eingeteilt, wobei vor allem die „3er Strecke“ in der Karpfenangler-Szene Kultstatus erreicht hat. In den 90er Jahren war dieser Streckenabschnitt des Neckars das Zuhause für besonders kapitale Karpfen, unter anderem auch für „BIG BEN“ – einem der ehemals größten Karpfen Deutschlands.
Die akutelle Lage vor Ort
Jürgen Proske wohnt in unmittelbarer Nähe zum benannten Neckar-Abschnitt und ist zudem passionierter Karpfenangler der ersten Stunde. Von seinem Wohnzimmerfenster aus kann er direkt auf den Fluss schauen und ist somit stets über den aktuellen Wasserstand informiert. Schon seit seinem 6. Lebensjahr angelt er an diesem Gewässer und Ende der 80er Jahre verfiel er dann komplett dem Karpfenangler-Virus. Auch der Neckar blieb vom Hochwasser nicht verschont und löste nach dem Fallen der Pegel ein Fischsterben ohnegleichen aus. Wir konnten Jürgen für ein Interview für die aktuelle Situation vor Ort gewinnen.
twelve ft.: Hallo Jürgen, danke dass du dir die Zeit nimmst und uns über die aktuelle Hochwasser-Situation am Neckar aufklärst. Über welche Neckar-Region genau kannst du uns etwas zum Hochwasser sowie den daraus resultierenden Folgen berichten?
Jürgen: Anfang Juni war der Neckar in seinen kompletten Lauf von einem schweren Hochwasser betroffen. Wohnort bedingt habe ich vor allem die Strecken des „unteren / mittleren Neckars“ im Blick. Ganz konkret die Strecken 1 -3, die von der Fisch-Hegegemeinschaft betreut wird. Auf Grund der starken Regenfälle stieg der Pegel des Flusses am 1. Juni 2024 rasant an und trat über die Ufer. Die angrenzenden Wiesen, Felder und Acker waren teilweise über 1,5 m überflutet. Der Hauptstrom verwandelte sich in eine reißende braune Brühe und die Fische, insbesondere die Karpfen, suchten die ruhigen, überschwemmten Bereiche auf. Dort fanden sie Schutz, Nahrung und perfekte Laichbedingungen.
twelve ft.: Wie verhielten sich die Karpfen während des Hochwassers und als die Pegel wieder sanken?
Jürgen: Die Ufer blieben für mehr als zwei Tage überflutet. Das sorgte dafür, dass immer mehr Fische in diese Bereiche zogen. Danach fiel das Wasser rasant. Viele Fische zogen sich in überschwemmte Senken und Löcher zurück und wurden dann sehr schnell vom Zugang zum Fluss abgeschnitten. Am Anfang fühlten sich die Fische dort noch sehr wohl, doch mit steigenden Temperatuten und sinkenden Sauerstoff begann die Situation brenzlig zu werden. Spätestens, als ich drei große Karpfen tot in einem Wasserloch fand, musste gehandelt werden. Zuvor hatten vereinzelt Angler schon mit Keschern Karpfen in den Tümpeln gefangen und in den Fluss zurück gesetzt. Doch die meisten Flächen waren noch sehr groß und tief, so dass man mit zwei bis drei Personen nicht viel ausrichten konnte. Teilweise entstanden richtige Seen mit einer Größe von 2 ha und einer Tiefe von 1,5 m.
twelve ft.: Welche Maßnahmen und von wem wurden diese ergriffen, um die Karpfen zu retten?
Jürgen: Schnell war uns klar, das man nun organisiert handeln muss. Über verschiedene Kanäle, insbesondere die WhatsApp Gruppen des Angelvereins Mosbach und Umgebung, aber auch die Fisch-Hegegemeinschaft wurden Helfer gesucht und Rettungsmaßnahmen gestartet. Zuerst musste der komplette Streckenabschnitt nach potentiellen Stellen mit Fischen abgesucht werden. Hierbei wurden dann auch Drohnen eingesetzt. Innerhalb weniger Stunden waren etwa 30 Angler an einem normalen Wochentag erschienen, um beim Abfischen zu helfen. Hierbei kamen erstmals auch über 30 m lange Netze zum Einsatz.
Zwar konnten beim ersten Einsatz etwa fünf Karpfen und ein paar Zander gerettet werden, aber es war einfach noch viel zu viel Wasser auf den Wiesen. Zudem konnten viele Bereiche, wie z.B. Felder gar nicht mit dem Netz abgefischt werden. Für den nächsten Tag wurde der nächste Abfischtermin organisiert. Dank entsprechenden Aufrufen kamen etwa 50 Personen am Samstagmorgen zusammen. Darunter Angler der verschiedensten Angelvereine, aber auch Helfer aus der „normalen Bevölkerung“. Parallel dazu konnte das THW gewonnen werden, den Einsatz zu unterstützen. Diese rückten mit schweren Gerät und Hochleistungspumpen an. In der kompletten Nacht von Freitag auf Samstag pumpten diese das Wasser von den Wiesen. Dies verringerte die Wasserfläche erheblich, so dass das Lokalisieren und Fangen der Fische erheblich vereinfacht wurde.
twelve ft.: Gab es bereits im Vorfeld Bemühungen, solchen hochwasserbedingten Tragödien zuvor zu kommen und möglicherweise abwenden zu können?
Jürgen: Hochwasser in dieser Form treten etwa alle 10 Jahre am Neckar auf. Auf Grund der Struktur des Flusses und der Topgraphie des Umlandes lassen sich solche Szenarien nicht verhindern. Aber es kann uns auf Grund der Erfahrungen zukünftig gelingen noch schneller und strukturierter Rettungsmaßnahmen zu ergreifen.
twelve ft.: Kann ein Großteil der Fische gerettet und zurückgesetzt werden oder sind neue Besatzmaßnahmen notwendig?
Jürgen: Zum jetzigen Zeitpunkt konnten etwa 50 Karpfen zwischen 3 und über 20 kg gerettet und in den Fluss zurück gesetzt werden. Etwa 10 Karpfen wurden tot gefunden. Aber noch immer (Stand 10. Juni 2024) gibt es Bereiche, in denen noch Fische sind. Leider können diese nur punktuell abgefischt werden, so das davon auszugehen ist, das noch einige Fische mehr verenden werden. Auf die Besatzmaßnahmen hat dies vorerst keinen Einfluss.
twelve ft.: Betrifft dies vor allem große Exemplare oder sind alle Größen an Karpfen dem Hochwasser und seinen Folgen ausgeliefert?
Jürgen: Ein Großteil der abgefischten Karpfen waren Fische über 10 kg. Kleine „Satzkarpfen“, wie sie noch im Herbst besetzt wurden, waren kaum anzutreffen. Dazu konnten etliche Zander, Nasen, Brassen und Döbel gerettet werden.
twelve ft.: Was kann man als Außenstehender tun?
Jürgen: Momentan sind die „organsierten Rettungsmaßnahmen“ im großen Stile beendet. Aber immer noch suchen wir täglich die Restwasserflächen ab und gehen auch Hinweisen aus der Bevölkerung nach.
twelve ft.: Wie gehst du als Angler mit dieser Situation um?
Jürgen: Für mich als Angler ist dieses Situation Fluch und Segen zugleich. Natürlich ist es schade um die verendeten Fische. Und natürlich war die Rettungsmaßnahme zeitintensiv und kräftezehrend. Auf der anderen Seite erhielten wir einen äußerst interessanten Einblick in den Fischbestand des Flusses. Wir sahen viele Fische, die zuvor wohl noch niemals gefangen wurden. Außerdem entstanden viele interessante Begegnungen und Kontakte zu anderen Anglern, die es ohne diese Katastrophe niemals gegeben hätte.
Wir bedanken uns bei Jürgen Proske für die umfangreiche Aufklärung über die aktuelle Lage am Neckar in Bild- und Textform sowie allen Helfern und Helferinnen, die an der Rettung der Fische beteiligt waren.