Karpfenangeln vor der Haustür, was soll dieser Ausspruch eigentlich genau bedeuten? Schließlich macht ja wohl kaum jemand von uns seine Haustür auf und steht leibhaftig direkt am Wasser, wohlmöglich noch an einem wunderschönen Natursee oder einem langsam dahinfließenden Fluss. Nein, für unseren Autor Philipp Wenzel ist die sogenannte „Haustür“ nur eine metaphorische Umschreibung für eine Region, in der er aufgewachsen ist und sich, vor allem durch schöne und einflussreiche Erinnerungen, zutiefst verbunden fühlt. Doch warum er genau an diesem Ort nie wirklich seiner Passion – dem Karpfenangeln – nachgegangen ist kannst du im ersten Teil von „Das Gute liegt so nah – Karpfenangeln vor der Haustür „ nachlesen.

Die Rückkehr des pflichtbewussten Vaters

Ein wenig trotzig und leicht abgenervt stand Dennis auf einmal vor mir, ihm schienen die Nachrichten sowie Fotos vom vorangegangen Morgen nur teilweise gefallen zu haben. Unser Freund Marius war in der Zwischenzeit schon längst wieder abgereist, die Arbeit rief und mehr als das bereits empfangene Glück konnte er nun wirklich nicht mehr erwarten. Nun war Fingerspitzengefühl gefragt, wie ging man mit der aktuellen Situation richtig um? Natürlich, man hieß seinen Angelpartner herzlich willkommen zurück, nahm ihm den, wohlgemerkt ohne Absprache organisierten, Einkauf ab und kochte erstmal einen kräftigen Kaffee. Nach einem kurzen Gespräch und dem Informationsaustausch, auf welcher Rute der Fisch denn gebissen hätte, baute Dennis seine Ruten im gefütterten Bereich ab und konzentriere sich darauf, seine zwei Rigs neu zu bestücken und anschließend in den Bereich des Anbisses aus der letzten Nacht zu positionieren. Es war keine Missgunst oder Gräuel, die ihn innerlich auffraßen sondern vielmehr der Umstand, dass er viel Hoffnung in seinen ersten Angel-Jahres-Urlaub gesteckt hatte, um letztendlich doch wieder zu Hause zu sitzen und mit ansehen zu müssen, dass jemand anderes ihm den „Erfolg“ wegschnappte. Ich ließ ihn machen, schließlich brachte ein neuer Spot zumeist neue Erkenntnisse mit sich und zudem sollte ich in den Folgetagen von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends eh den kompletten Bereich für mich beanspruchen können. Dennis seiner Frau ging es zwar schon merklich besser, unter Tags wollte er sich dennoch unterstützend um den Nachwuchs kümmern.

Unverhofft kommt oft - Karpfenangeln vor der Haustür Teil 2 -

Ich beangelte weiterhin unseren großflächig angelegten Futterplatz entlang der Kante, positionierte die Ruten annähernd gleich wie die Nacht zuvor und hatte vollstes Vertrauen in unsere Vorbereitung. In der folgenden Nacht wiederholte sich das Szenario der vorangegangen, der Bissanzeiger von Dennis am weitesten rechts positionierter Rute schrie auf, ich hörte ihn hastig aus dem Zelt stürmen und machte mich ebenso auf den Weg. Das kann doch nicht wahr sein dachte ich mir, es war genau die Rute die auch zuvor den dicken Fisch bei Marius gebracht hatte, nur dass jetzt zwei Ruten in dem scheinbar sehr fängigen Bereich lagen. Nach einem kurzen Drill schöpften wir einen wohlgenährte Mitte zwanzig Pfund Spiegelkarpfen ab und schossen ein paar wenige Nachtfotos. Meine Wenigkeit war somit als einziger noch Schneider, aber dafür besserte sich die Laune von Dennis zusehends und das war in diesem Moment viel mehr wert als alles andere!

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Die Hälfte unserer Angelzeit war bereits um und die Tagesstunden verflogen zusehends ohne eine einzige Aktion. Ich saß im Antlitz der herbstlichen Sonne vor meinem Bivvy, trank einen guten Kaffee nach dem anderen und winkte den vorbeifahrenden Schiffen zu. Innerlich überlegte ich bereits den gefütterten Platz aufzugeben, aber sollte man dies nur auf der Grundlage von zwei Fängen in drei Nächten basierend entscheiden? Ich war mir unsicher und blieb bei der Ausgangsstrategie, der Futterplatz an der abfallenden Kante. Stiefmütterliche Gewässer und zeitweise engstirnige Angler scheinen augenscheinlich keine gute Kombination zu sein…

Täglich grüßt das Murmeltier

Ein Tag glich dem anderen, tagsüber ging es um Entspannung und Boote gucken, bis am Abend der pflichtbewusste Vater von seiner kranken Familie an das Wasser zurückkehrte und zielbewusst die Montagen an die angedachten Plätze warf. Es kam wie es kommen musste, kaum war die Nacht hereingebrochen lief wieder Dennis Rute ab. Er drillte in aller Seelenruhe und ich machte bereits die Kamera scharf, eine Art „Routine“ hatte ich ja bei mir schon längst entwickelt. Nach einer kurzen Fotosession, mit einem Spiegler in der ähnlichen Größe wie in der Nacht zuvor, verschwanden wir wieder in den Schlafsäcken, aber in diesen sollten wir nicht wirklich lange verweilen können. Zwei Stunden nach dem ersten Biss gab es erneut einen Full-Run und dreimal darfst du raten bei wem! Dennis sprintete also los, ich zog mir gemächlich die Wathose an und machte mich anschließend auf den Weg. Auf einmal brüllte Dennis aber wesentlich aufgeregter als die Male zuvor, ich beschleunigte meine Schritte und kam innerhalb von ein paar Sekunden neben ihm am Hot Spot an. Just in diesem Moment drehte er sich zu mir um, drückte mir seine krumme Rute in die Hand und klopfte mir auf die Schulter. „Dieser Fisch gehört dir!“ – kaum hatte er diese Worte ausgesprochen verschwand er auch schon in der stockdunklen Nacht. Ich stand ein paar Sekunden vollkommen verdutzt da, realisierte dann diese freundschaftliche Geste und fing an zu drillen. Kurze Zeit später glitt ein wunderschöner, wenn auch wesentlich kleinerer, Spiegelkarpfen in den Kescher und ließ nun auch mich vollumfänglich an dem Erfolg meiner Angelfreunde teilhaben.

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Es war früh am Morgen als es in meinem Kopf summte, zu gut kannte ich dieses Geräusch und öffnete meine Augen. Gleiches Szenario wie die Nächte zuvor, ein kreischender Bissanzeiger und ein Dennis, der mit hoher Geschwindigkeit an meinem Zelt vorbei sprintete. Nach einem starken Drill blickten wir beide in den Kescher vor uns uns trauten unseren Augen nicht – die Maschen umschlungen einen richtigen Brocken in Fischform! Beim Herausheben wurde sofort klar, Dennis hatte den von Marius gefangenen Fisch gewichtstechnisch auf jeden Fall überholt. Ein Blick auf die Waage verschaffte anschließend Gewissheit, satte 37 Pfund zeigte diese an. Ein Freudenschrei durchbrach den noch jungen Morgen und mein Angelpartner war komplett aus dem Häuschen. Der anschließende, sozusagen tägliche, Heimweg wurde an diesem Tag von einem grandiosen Lächeln in seinem Gesicht begleitet.

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Das Beste kommt zum Schluss

Die letzte Nacht brach an und ich hatte mich endlich dazu entschlossen, es Dennis gleich zu tun und meine Ruten umzupositionieren. Ich setzte nun alles auf eine Karte und stellte sie mitten in die Region, in der die Nächte zuvor alle Fische gekommen waren. Das Gewässer hatte mir die gesamte Woche bereits gezeigt, was es davon hielt, all die Jahre zuvor von mir so stiefmütterlich behandelt worden zu sein. Natürlich hatte ich dank der Hilfe meines Freundes bereits einen Fisch fangen können, aber ganz das gleiche Gefühl empfindet man am Ende doch nicht, als wenn man auf seine eigene Montage, Köder und Rute einen Fisch zum Anbiss überreden und anschließend auch sicher landen kann. Um eines vorweg zu nehmen, es passierte die gesamte Nacht nichts, wieder bei mir noch bei Dennis. Unruhe machte sich in den Schlafsäcken breit, sollte der gestrige Tag wirklich der Höhepunkt unserer Session gewesen sein? Dann geschah es, zum ersten Mal seit einer Woche vernahm ich keinen fremden Bissanzeiger-Ton, sondern meinen eigenen. Endlich dachte ich, sprang in die Wathose und hastete zu meinen Ruten. Der Drill gestaltete sich eher als plumpes Rankurbeln und auch mein Angelpartner schien noch nicht so richtig realisiert zu haben was da eigentlich gerade passierte, schließlich verkescherte er den Fisch ganze drei Mal! Am Ende ging aber alles gut, der Fisch wurde sicher gelandet und war gewichtstechnisch auch eher in der oberen Klasse anzusiedeln. Die Waage blieb bei glatten 30 Pfund stehen und entlockten auch mir, auf dem letzten Drücker, ein breites Grinsen.

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